Meine Verteidigung bezieht sich zu guten Teilen darauf, dass hier Dinge miteinander verquickt werden, die nichts miteinander zu tun haben. Wenn das Öffentlichkeitsprinzip dafür verantwortlich gemacht wird, dass hitta.se und Eniro wie wild Daten sammeln, dann ist das schlichtweg irreführend. Auch die Betitelung "Überwachungsstaat" ist irreführend, denn es ist in dem Fall nicht der Staat, der uns überwacht.tommy3 hat geschrieben:hansbaer,
ich verstehe nicht, warum du dieses Öffentlichkeitsprinzip so vehement verteidigst. Nur weil es immer schon gegolten hat, muss es nicht auch gut und richtig sein.
Ich habe auch meine Skepsis gegenüber der ganzen Sache. Ich finde es bedenklich, dass ich direkt nach Anmeldung meines Autos mit Werbung zugeschüttet wurde und man bei jedem Umzug in eine neue Kommune ein Bombardement mit "Willkommensangeboten" erlebt. Die Sensibilisierung ist in Deutschland da deutlich höher. Die Bereitwilligkeit, mit dem Schweden ihre Handynummern herausgeben bzw. regelrecht aufdrängen, zeugt davon.
Dennoch sollte man da nicht den Bock zum Gärtner machen. In verschiedenen europäischen Ländern (glaube auch in Deutschland) gibt es Gesetze, die dem Bürger Zugang zu behördlichen Dokumenten geben sollen. Diese sind häufig umständlich und tragen nur zum Schein zu echter Transparenz bei. In der Realität landet man da nicht selten vor Gericht, wenn man sein Recht haben will.
Daher halte ich das Öffentlichkeitsprinzip als Grundsatz für gut, weil es die Transparenz zur Regel macht, nicht zur Ausnahme.
Wie aber jeder Grundsatz muss er an die Gegebenheiten angepasst werden. Mir ist auch nicht recht, dass es jetzt wieder ein Portal gibt, wo jemand potenziell meine Daten abrufen kann, ohne dass ich davon etwas mitbekomme. Die Schweden haben damals bei Ratsit ja Angst vor der eigenen Courage bekommen, und das Skatteverket hat deswegen seine Regeln geändert.
Das kann man durchaus diskutieren. Aber dass man wegen eines mäßig funktionierenden und anscheinend regelwidrigen Abfrageportals einen Grundpfeiler der schwedischen Demokratie in Frage stellt, ist fast so, als würde man die Schmutzkampagnen der Bild-Zeitung als Anlass für die Abschaffung der Pressefreiheit nehmen.
Das ist aber eine sehr zweischneidige Argumentation. Zunächst beklagst du, dass das Prinzip zu weitreichend ist, um dann den Behörden vorzuwerfen, wenn sie es in Einzelfällen beschränken. Wenn jeder Bürger beliebig bestimmen könnte, was von ihm abgerufen werden darf, führt dies das Prinzip genauso ad absurdum wie eine Verpflichtung der Behörden zur Freigabe von allem. Im ersten Fall würde die demokratische Kontrollfunktion abhanden kommen, im zweiten Fall wären dann wohl auch Krankenakten einsehbar.Der einzelne Bürger kann sich nicht dagegen wehren, dass seine auch privaten Daten jedermann zugänglich sind. Behörden und Firmen im öffentlichen Besitz jedoch, bei denen der Bürger gerne Einsicht haben möchte, können Daten und Dokumente einfach als geheim klassifizieren und so der Einsicht entziehen (so bei mir geschehen). Damit ist das Öffentlichkeitsprinzip ausgehebelt.
In Deutschland müsstest du einem Gericht beweisen, dass du Anspruch auf die Einsicht dieser Dokumente hast. In Schweden muss die Behörde plausibel machen, wieso sie die Einsicht verweigert. Der Bürger hat in diesem Fall klar die stärkere Stellung. Das sollte man nicht verdrehen.
Einen Mentalitätsunterschied würde ich aber doch verorten. Soweit ich es beurteilen kann, ist das Gehalt in Deutschland nach wie vor ein Tabu-Thema. Da spricht man nicht drüber, und schon die Frage danach ist unanständig.Übrigens gelten in S die Einkommensdaten oft auch als höchst privat. In unserer Firma sprechen die Blue-Collars offen über ihren Lohn, die WhiteCollars dagegen nie.
Das ist richtig - aber ich möchte den Schweden nicht unsere historischen Erfahrungen wünschen.Schweden hat leider nunmal eine andere Einstellung zur Datensammelwut und dem Breittreten von Daten. Man hat zuwenig schlechte historische Erfahrung.
@S-Nina: ich habe nicht behauptet, es gäbe keine Korruption. Aber die Korruption hierzulande gehört zu den niedrigsten der Welt, soweit dies überhaupt beurteilbar ist.
Das Öffentlichkeitsprinzip hat daran seinen Anteil. Nicht umsonst gehört es zu den Kernforderungen von Transparency International, dass Verfahrenswege offengelegt werden sollen.