Schulabbrecher in Schweden

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Meernixe
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Schulabbrecher in Schweden

Beitrag von Meernixe »

Hej liebes Schwedenforum,

erstmal ein hallo, denn ich(24) bin neu hier. Mein Freund (23) ist Schwede und daher bin ich mit diesem liebenswürdigem Land nun auch enger verbunden.
Ich habe mal eine Frage, vielleicht kann mir ja jemand helfen.

Unter allen Schweden, die ich hätte kennenlernen können, habe ich gerade den herausgepickt, der damals seine Schule abgebrochen hat. Und damit meine ich nicht das Gymnasium, sondern die obligatorische Grundschule!!!
Ich habe das alles bröckchenweise erfahren. Und stand dann nach einiger Zeit (und bereits gewachsener Liebe) vor einem Scherbenhaufen.
Er arbeitet an einer Schule (Mädchen für alles: auf harte Fälle aufpassen in der Bibliothek aushelfen), bekommt das Geld aber eigentlich vom Staat. ich würde es viell mit einer deutschen ABM vergleichen wollen. Er hat da kaum etwas zu tun, ist auch nicht gerade glücklich damit.

Ich muss in sofern ausholen, als dass ich noch erklären muss: er hatte in der Grundschulzeit eine Hirninfektion und konnte daher 2 Jahre nicht richtig zur Schule gehen, hatte dann auch Schulängste und hat besonders in Mathematik versagt. die in Deutschland so gelobte Hilfe für schlechte Schüler in Schweden (wie habe ich als Lehramtsanwärterin immer verträumt auf das schwedische Schulsystem gesehen)ist dabei wohl ausgeblieben.
Er war so dämlich (auch wenn ich meinen Freund liebe, kann ich es nicht treffender beschreiben) kaum noch hinzugehen und sich zu verweigern. (seine Eltern schienen da widerrum auch nicht ganz hinterher zu sein)
Er durfte dann trotzdem (ich verstehe es auch nicht, wenn er es mir zig mal erklärt) aufs Gymnasium gehen und den schlechten Mathekurs hinterherschleppen. Obwohl er ja andere Fächer auch nicht bestanden hat.Das wurde dann aber zu hart und er brach auch das ab.
Und danach hat er eben hier ein Praktikum gemacht, da ein Praktikum gemacht und anstatt wieder auf die Schule zu gehen in schwedischer "es wird alles gut Manier" gehofft: ich bekomme bestimmt eine Festanstellung...irgendwann. Ja, irgendwann...nun ist er 23 und passiert ist noch nichts.
Der nächste Schock folgte (ich dachte er hätte nur Mathe nicht bestanden) nein: auch schwedisch und englisch nicht. Er war ganz erstaunt, dachte er doch von diesen 3 Fächern hätte er Mathe nur nicht bestanden. (wie kann man das nicht wissen mit 23?)
Stimmt es, dass es einen "Mindestabschluss" von Schwedisch, Englisch, Mathe an der Grundskolan gibt?Ihr seht also, es ist ein Zustand aus Verdrängung, Schulängsten und seiner Krankheit.
Mein Freund ist nicht dumm, er ist in gewisser Hinsicht resigniert, ängstlich und auch eine gehörige Portion faul. Dabei aber erstaunlich ruhig. Ich, die die Schullaufbahn so durchgezogen und danach studiert hat, kann das manchmal schwerlich nachvollziehen, wie man da so ruhig bleiben kann...
Wie es aussieht wird er diese 3 Fächer im Komvux nachholen. (er hat panische Angst vor Mathe!)Noch lieber wäre ihm aber die Verdängungsstrategie und er könnte einfach gleich die Ausbildung machen.
Anmerkung: Da ich einen nationalen Beruf gelernt habe als Lehrer möchte er nach Deutschland kommen.

Was macht der schwedische Staat da? Wie wird man da wieder eingegliedert? Genügen die 3 Fächer als Grundskolanabschluss?
Kann man auch abseits von dem Gymnasium eine Ausbildung machen?Wird man mit Wohngeld unterstützt? Er würde gerne etwas im handwerklichen Bereich lernen und ist da auch sehr begabt und kreativ.
Nur : kommt er nicht zu Potte. Ich an seiner Stelle hätte mir von Ämtern schon längst alle Unterlagen besorgt etc.
Was könnt ihr mir raten? Ich fühle mich ein bisschen wie seine Mutti. (die übrigens erst im Juli gestorben ist - kommt noch hinzu). Ich muss ihm immer ein wenig in den Hintern treten, damit er den Ernst der Lage begreift.

Habt ihr Erfahrung wie hoch so die Schullabbrecherquote in Schweden liegt? Wie hilft der Staat diesen Menschen. Manchmal kommt es mir so vor als betrieben sie eine Milchmädchenrechnung: Es wäre doch viel sinnvoller, dass man die Möglichkeit hätte einen Job zu lernen. Laut seiner Aussage gibt es die Möglichkeit abseits von der Schule einen Beruf zu erlernen. Aber das sei schlecht bezahlt, davon könne man nicht leben.


Ich entschuldige mich für die wirre Gedankenführung. Vielleicht ist es eine gewisse Angst und die Gewissheit, dass man gerade in Deutschland einen Schulabschluss vorzeigen muss, um wirklich gut integriert werden zu können.
Bin für jede Hilfe dankbar.

liebe Grüsse,

Meernixe

irni
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Re: Schulabbrecher in Schweden

Beitrag von irni »

Wenn er keinen Grundschulabschluss hat kann er den doch nachmachen! Aber da muss er das auch wollen.
Nimm doch Kontakt mit einem Studienvägledare (gibt´s an jeder Schule) und frag nach.

Es gibt ja nicht so wenige, die zwar die Grundschule durchmachen, aber nicht alle Fächer bestehen. Die kommen dann meistens weiter ans Gymnasium in einen Spezialzweig, wo man dann versucht den Schulgang an die ganz besonderen Bedürfnisse anzupassen. Ziel ist, dass man ein Gymnasiumabgangszeugnis bekommt. Das funktioniert leider nicht immer.

emilie
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Re: Schulabbrecher in Schweden

Beitrag von emilie »

hej,
mir scheint es eher so, dass er bei dir den schulabschluss vorweisen muss.
warum übernimmst du denn die rolle der mutti? du hast dich in ihn verliebt, als du noch nichts von seiner mangelnden schulbildung, bzw abschluss wußtest, war die rollenverteilung da auch schon so?
vielleicht versuchst du ihn einfach mal wieder als mann zu sehen und nicht als schulversager. das nimmt den druck ungemein. vielleicht klappt es dann auch mit der schule. wenn das nicht so ist, solltest du dir überlegen, was dir wichtiger ist, ein mann, den du selbst nicht als dumm beschreibst und mit dem du dich ja offensichtlich wohlfühlst (zumindest bis sein fehlender abschluss herauskam) oder die in deinen augen passende schulbildung.
hejdå
emily

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Re: Schulabbrecher in Schweden

Beitrag von HeikeBlekinge »

Stimmt es, dass es einen "Mindestabschluss" von Schwedisch, Englisch, Mathe an der Grundskolan gibt?
Ja, das stimmt.
Mit 23 Jahren hat dein Freund allerdings die Chance diesen z.B. mittels eines Baskurses an einer Folkhögskola nachzuholen. diese wuerde ich ihm auch dringend empfehlen, weil dort sehr, sehr speziell auf die Schueler eingegangen wird. Komvux ist etwas anders strukturiert als diese sozusagen "familiäreren Folkhögskola".
Wenn er eine Chance hat, dann dort! Ich hatte die einmalige Gelegenheit 2 Jahre auf solch eine Schule zu gehen (vorwiegend um schwedisch zu lernen) und dadurch die Möglichkeit viele unterschiedliche Schueler kennen lernen zu können. Die aus unterschiedlichsten Gruenden dort ihre Abschluesse nachholten oder Spezialrichtungen ausprobierten um neue Horizonte zu entdecken.
Zumindest auf meiner Schule wurde unglaublich individuell auf den Einzelnen eingegangen. Zumindest DER, der lernen will, der kann es DORT! (Es kam vor, das Einzelne zum "abgehen animiert" wurden, denn Ressourcen an solche die nicht wollen - ihre Zeit oder CSN vertrödeln- die werden nicht vergeudet! Sehr grosser Unterschied zu anderen Schulrichtungen)
Mit 23 hat er sein ganzes Leben noch vor sich! Du solltest das nicht zu schwarz (zu deutsch?) sehen! ABER! Die Chancen die es in Schweden gibt, gibt es in D NICHT! Ihm sollte klar sein, das ein Umzug ihm eher gar nichts bringt, ihn schulisch oder abschlussmässig nicht weiter bringt.

Ansonsten fällt mir dazu noch ein:
Auch Aushilfskräfte muss es geben, kein Jobb ist weniger wert als ein anderer nur weil der eine vielleicht an die zwei Jahrzehnte zuvor zur Schule ging. DAS macht einen Menschen nicht aus.

Versuch deinem Freund zu helfen! Hier in S! Lass dich dabei nicht von dummen Schlaumeiern irritieren die dir die"Muttirolle" unterstellen wollen. WARUM nicht? Wenn er zeitlebens evtl. keine Eltern hatte die ihm da halfen, er schlichtweg durchs System gerutscht ist? Deswegen muss man sich nicht schämen!
Frag ihn was er will, rede mit ihm ob er ungluecklich ist und etwas verändern will. Wenn nicht, nimm ihn so wie er ist ;-)

Und wenn du Fragen hast wie man wo was beantragen, machen oder fragen muss, dann einfach her damit.

Lycka till!
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Meernixe
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Re: Schulabbrecher in Schweden

Beitrag von Meernixe »

Hallo liebes Forum,

erstmal danke ich euch für euren lieben Antworten.

Meine "Schwarzseherei" mag wirklich deutsch sein. Ich habe so das Gefühl, dass dieses MUSS zum Erfolgreich sein einem als Deutscher fast einimplantiert ist. ;-)

Natürlich ist er deshalb kein schlechterer Mensch und ich schäme mich auch nicht. Aber ganz ehrlich gesagt habe ich Angst. Ich empfinde es als eine grosse Verantwortung, wenn er tatsächlich wegen mir nach Deutschland kommen sollte. Ich möchte einfach, dass er dann auch glücklich ist, einen Job und Freunde findet etc.
Ich persönlich weiss für mich ( und ich hoffe dass macht nicht mich zum schlechteren Menschen), dass ich ihn nicht nach Deutschland nehmen möchte um ihn dann letztendlich durchzufüttern. Ich erwarte niemanden mit Titel, einem Abitur etc. Aber ich erwarte doch einen gewissen Willen und Biss und auch, dass mein Partner einen Job hat. Er muss nicht mehr verdienen, aber er sollte doch etwas zum gemeinsamen Leben beitragen. Ich weiss, dass mich sein jetziges Leben auf die Dauer wütend, nervös (kA) machen würde. Er lebt viel in den Tag hinein, schaut viel fern etc etc.
Es ist nur manchmal schwer, wenn ich mir (meinetwegen aus deutscher Mentalität) Sorgen um unser gemeinsames Leben mache. Ihn auffordern muss, sich doch min ne Stunde an Deutsch zu setzen etc. (ûbrigens war es seine Idee nach D zu kommen)

--> ich mache das Schedenforum gerade zu einem Beziehungsforum glaub ich ;-)

Daher nochmal zu der Folkhögskola. Das klingt interessant. Er wollte jetzt eigentlich in seiner Kommune Enköping auf dem Konvux erstmal Englisch, Schwedisch und Mathe machen und danach müsste für ein paar andere Fächer immer nach Uppsala zum Konvux.
Sind die weit gestreut? Ich hoffe, dass er nach so langer Schulabstinenz wieder reinkommt. Er macht es mehr für mich als für sich (bzw. weil er es für D braucht) Am liebsten würde er nur die 3 machen. Eine feste Gruppe mit festen Zeiten und Hilfe an nur einem Ort wäre toll für ihn.

lg

Meernixe

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Re: Schulabbrecher in Schweden

Beitrag von Meernixe »

Habe gerade gesehen, dass folkhögskola Geld kostet. Mein Freund hat aber nach Abzüge aller Rechnungen schon so nur wenig Geld zum Leben.
Kann man da weitere finanzielle Unterstützung erwarten?

lg Meernixe

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Re: Schulabbrecher in Schweden

Beitrag von HeikeBlekinge »

www.csn.se

Wo hast du gelesen das die fhs Geld kostet?
Klar, bei Unterbringung in einem anhängendem Internat! Aber fuer Kost und Wohnstatt muss man ja eh immer aufkommen. In unserer fhs sind das um die 3600:-> wohlgemerkt: fuer Warmmiete und Verpflegung! Es entfallen aber keine Studienkosten! Als "Externat" muss man monatlich die fikakosten, Ausfluege etc. mit 420;- abdecken. Mehr nicht.
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Tommy_

Re: Schulabbrecher in Schweden

Beitrag von Tommy_ »

Meernixe hat geschrieben: Meine "Schwarzseherei" mag wirklich deutsch sein. Ich habe so das Gefühl, dass dieses MUSS zum Erfolgreich sein einem als Deutscher fast einimplantiert ist. ;-)
Ist ja auch ganz natürlich. Um sich was "leisten" zu können (gute Bedingungen für den Nachwuchs, Reisen, Hobbies, gutes Essen, nette Wohnung in ansprechender Lage, ...) braucht man entsprechende Mittel. Und die muss man sich erarbeiten. Ich finde diese "deutsche" Einstellung gar nicht übertrieben, sondern sogar sehr gesund.

Mir begegnen in Schweden recht oft Leute, die sich so verhalten wie dein Freund. Abstrakte Hoffnung in "irgendwann wird das schon", aber keine konkreten Schritte unternehmend, da mal selbst was dran zu ändern. Da wird fern gesehen und ab und zu bei ICA gejobbt. Von alleine kommt nunmal nichts.

Ich spreche niemandem ab, damit glücklich zu sein. Nur wer es nicht ist, evtl. etwas später im Leben, der soll sich dann nicht beschweren (und Gesellschaft/Ausländer/böse Manager/... dafür verantwortlich machen). Es war dann schließlich die eigene Entscheidung. Möglichkeiten, sich zu bilden gibt es genug. Das Bewusstsein dafür scheint mir nur in der jüngeren Generation in Schweden viel weniger ausgeprägt als in Deutschland. Aber das ist ja ganz klar auf die Erziehungsphilosophien (Elternhaus wie auch Schule) zurückzuführen.

Natürlich darf sich das nicht verselbständigen, Erfolg des Erfolges wegen. Das macht auch krank und ist eher in D ausgeprägter. Damit muss man auch umgehen lernen. Jedoch ist das m.E. der zweite Schritt.

Tommy_

Re: Schulabbrecher in Schweden

Beitrag von Tommy_ »

Meernixe hat geschrieben:Habe gerade gesehen, dass folkhögskola Geld kostet. Mein Freund hat aber nach Abzüge aller Rechnungen schon so nur wenig Geld zum Leben.
Kann man da weitere finanzielle Unterstützung erwarten?

lg Meernixe
Wie schon erwähnt ist CSN in Schweden eine tolle Sache. Was aber der Schlüssel zu allem ist, dass er das alles selbst will. Nicht für dich, sondern für sich selbst.

Nur Mut und viel Erfolg!

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