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Die sechziger Jahre
Die gesellschaftskritische Literatur entwickelt sich. Die Weltpolitik wird sichtbar, die westliche Kultur wird in Frage gestellt und die Vietnambewegung entsteht. Das Interesse für den Marxismus wächst, und die Literatur wird leichter verständlich. Die neue literarische Welle der nichtfiktionalen Genres wie Bericht und Reportage erlebt Anfang der siebziger Jahre ihren Höhepunkt.
Von Jan Myrdal (geb. 1927) erschien Rapport från en kinesisk by, (dt. Bericht aus einem chinesischen Dorf) 1963, und Sven Lindqvist berichtete aus Lateinamerika und Asien. Von Sara Lidman wurden Samtal i Hanoi (dt. Gespräch in Hanoi), 1966, und Gruva (Bergwerk), 1968, herausgegeben, das Interviews mit Bergleuten enthält.
Per Wästberg (geb. 1933) debütierte bereits 1949 als frühreifer Fünfzehnjähriger und engagierte sich in den sechziger Jahren gegen die Rassendiskriminierung in Rhodesien und Südafrika. Das Interesse für Afrika hatte Berichtanthologien und mehrere Abrisse über afrikanische Literatur zur Folge. Wästberg ist auch für seine Romantrilogie im Stockholmer Milieu bekannt. Vattenslott (Wasserschloß), 1968, Luftburen, (dt. Gelöste Liebe) 1969, und Jordmånen (Erdreich), 1972, sind Sittenschilderungen der Liebe in der Großstadt.
Dem Lyriker Göran Sonnevi (geb. 1939) gelang 1965 der Durchbruch mit der Anthologie Ingrepp – modeller (Eingriff – Modelle), die das bekannte Gedicht Om kriget i Vietnam (Über den Krieg in Vietnam) enthält. Seine politisch und sozial bewußte Lyrik trug ihm zehn Jahre lang die Bezeichnung »Lyriker der neuen Linken« ein. Die fast 300 Seiten umfassende Gedichtsammlung Mozarts tredje hjärna (Mozarts drittes Hirn), 1996, beweist, dass Sonnevi immer noch zu den wirklich großen schwedischen Lyrikern zählt.
Anfang der sechziger Jahre gab es eine kurze modernistische Welle mit avantgardistischen Formexperimenten. Bengt Emil Johnson (geb. 1936) befaßte sich in der Sammlung Hyllningarna (Ehrungen), 1963, als erster in Schweden mit konkretistischer Lyrik. Ihm folgte Åke Hodell (geb. 1919), der sich in Igevär (Ans Gewehr), 1963, und General Bussig (General Nett), 1964, über den Militarismus lustig macht.
Sonja Åkesson (1926–1977) debütierte 1957 und schrieb »neueinfache« gesellschaftskritische Gedichte über die Bedingungen von Frauen in alltäglichen Umgebungen ohne kulturelle Anregungen. Leva livet (Das Leben leben), 1961, und Husfrid (Häuslicher Frieden), 1963, inspirierten beispielsweise Kristina Lugn und Bodil Malmsten, die in den achtziger und neunziger Jahren bedeutende Lyriker wurden.
Die gesellschaftskritischen Stücke Flotten (Das Floß), Sandlådan (Der Sandkasten) und Hemmet (Das Zuhause), die Kent Andersson (geb. 1933) und Bengt Bratt (geb. 1937) für die Bühne der sechziger Jahre schrieben, sind Geschichte geworden. Die Stücke entstanden, auf zeitgemäße Weise, in Teamarbeit mit den Schauspielern.
Per Olov Enquist (geb. 1934) schrieb Dokumentarprosa und experimentelle Romane. Hess (Hess), 1966, ist ein fragmentarischer Metaroman und Legionärerna (dt. Die Ausgelieferten), 1968, schildert fiktiv und dokumentarisch die Ausweisung von Balten aus Schweden in die Sowjetrepubliken. Enquist schrieb später episch angelegte Romane wie Musikanternas uttåg (dt. Auszug der Musikanten) und Kapten Nemos bibliotek (dt. Kapitän Nemos Bibliothek). Mitte der siebziger Jahre war Enquist auch als Theaterautor erfolgreich. Mit Tribadernas natt (dt. Die Nacht der Tribaden) und Från regnormarnas liv (dt. Aus dem Leben der Regenwürmer) wurde er neben Lars Norén ein international bekannter schwedischer Theaterautor.
Der Dramatiker Lars Norén (geb. 1944) debütierte als Lyriker mit halluzinatorischen, surrealistischen Gedichten. Stupor (Abgründe), 1968, ist eine Collage gewalttätiger, weltpolitischer Bilder, die u.a. Tod und Schuld thematisieren.
Ein großer schwedischer Erzähler ist auch Sven Delblanc (1931–1992), der 1962 debütierte. Mit Hedebysviten (Hedebyzyklus), einem auf dem Bauernland der Provinz Sörmland angesiedelten Romanzyklus, wurde er populär, der erste Teil Åminne (Gedenken) erschien 1970.
Per Anders Fogelström (geb. 1919) ist ein weiterer vielgelesener epischer Erzähler. Mit einem Romanzyklus, in dem er die Geschichte einer Arbeiterfamilie von den 1860er Jahren bis in die Gegenwart nachzeichnet, hat er ein bedeutendes historisches Dokument geschaffen.
Sara Lidmans jernbaneepos (Eisenbahnepos), das die Kolonisierung Norrlands Ende des 19. Jahrhunderts beschreibt, gehört zu den sprachlich innovativen Romanen der schwedischen Literatur. Göran Tunströms (geb. 1937) intensiv phantasievolles literarisches Werk erinnert an Selma Lagerlöf. Mit dem Roman Prästungen (Kind des Pastors), 1976, kreiste Tunström sein literarisches Universum, den Ort Sunne in Värmland, ein. In den achtziger Jahren erschien der Roman Juloratoriet (dt. Solveigs Vermächtnis), der kürzlich verfilmt wurde. Skimmer (Skimmer), 1996, der auf dem Island der Sagas spielt, war sein sehnlich erwartetes Comeback als Romanautor.
Ein Synonym für die »jungen siebziger Jahre« war Ulf Lundells (geb. 1949) Romandebüt Jack (Jack) von 1976, der ein Bestseller wurde. Mehrere Romane Lundells – ein später Beat-Autor – sind gleichzeitig Gegenwartsschilderungen und Selbstbespiegelungen, und er ist eine ständige Inspirationsquelle für Autoren in spe. Aber noch in den neunziger Jahren suchen die Verlage vergebens nach einem würdigen Nachfolger.
Kommentare
Sandro Key-Åberg (geboren 6.Mai 1922 in Dresden, Deutschland):
ER hat zusammen mit seiner Frau Gudrun (Malerin) lange Zeit in dem alten Schulhaus von der Gemeinde Lönneberga gelebt.
Dieses Haus haben wir 2009 gekauft und zu einem Restaurant mit Bed & Breakfast umgebaut. Neueröffnung war am 25.Juni 2010 (Midsommar)!
Alle, die neugierig sind, wie Sandro und seine Frau hier gelebt haben, Originalbücher von ihm lesen will oder einfach nur die wunderschöne Natur hier geniessen will, ist herzlich eingeladen: [link].
Herzlichste Grüsse aus Schweden senden
Anne und Frank
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Antwort: Hallo Anne und Frank, danke für die Info! Meldet euch doch einfach mal für eine gegenseitige Verlinkung mit dem Schwedentor.