Meine Erfahrungen mit dem schwedischen Gesundheitssystem
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Re: Meine Erfahrungen mit dem schwedischen Gesundheitssystem
Zunächst einmal: Es ist schlimm, wenn aufgrund welcher Fehler (system- oder personbedingt) auch immer ein unschuldiger Mensch sterben muss, und umso tragischer, wenn es sich hierbei um ein Kind handelt.
Aber - wie Hansbaer schon sagte - man sollte von solchen Fällen nicht auf ein prinzipielles Versagen des Gesamtsystems schließen.
Wie ich an anderer Stelle schon geschrieben habe glaube ich, dass jedes System seine Stärken und Schwächen hat. Die Schwäche des schwedischen Systems liegt sicher in der übertriebenen Filterung der Patienten. Man muss aber auch sehen, dass das grundsätzlich schon einen Sinn hat. Ich bin momentan als Vertragsarzt (Kassenarzt) in einem kleineren Ort in Niedersachsen tätig. Trotz schon umfangreichen Sprechstundenangebotes kann ich mir pro Patient kaum mehr als die angesprochenen 3:42 Minuten (oder wieviele das noch gleich waren) Zeit nehmen, weil sonst das volle Wartezimmer zu einem "Hexenkessel" wird (bildlich gesprochen), weil alle glauben, zu lange zu warten. Und wenn sie dann "an der Reihe" sind, sind sie genervt, wenn ich sie nach spätestens 5-8 Minuten wieder herauskomplementieren muss. Sie haben zwar prinzipiell Verständnis dafür, hätten aber doch lieber mehr Zeit im Sprechzimmer verbracht.
Das ist im übrigen auch meine Hauptmotivation, stattdessen in Schweden zu praktizieren: Habe schon ein paar Mal in verschiedenen VC hospitiert und da das genaue Gegenteil erlebt: Endlich mal Zeit für die Patienten, man fühlt sich nicht so unter Druck, kann viel besser aufeinander eingehen, auch mal persönliche Probleme abseits des akuten Geschehens beleuchten etc.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten, um diese Situation (15-20 Minuten pro Patient) zu erreichen: entweder den Zugang limitieren oder aber viermal so viele Ärzte bezahlen. Da sich letzteres aber keiner leisten kann (sondern im Gegenteil die Bezahlung der Ärzte in Deutschland trotz anderslautender Berichte immer weiter gekürzt wird), bleibt nur die Zugangsbeschränkung.
Wie soll diese nun stattfinden? Wer zuerst kommt, kriegt einen Termin, wenn alle Termine voll sind, haben die restlichen Pech gehabt? So hat man - wenn es dumm läuft - 30 Patienten mit Erkältung gut untersucht und behandelt, die auch von selber wieder gesund geworden wären, und 30 schwerer Kranke unversorgt gelassen, die wesentlich dringer ärztlicher Hilfe bedurft hätten. Wie verhindert man das? Man installiert ein Filtersystem, um (optimalerweise) jedem Patienten gerecht zu werden. Sprich: den nicht ganz so kranken beruhigen und "Alltagstipps" geben (das oft gehörte "Bettruhe - Alvedon - viel trinken"), die fraglich kränkeren einzubestellen und nochmal vor Ort zu sichten und die vermutlich schwerer kranken Patienten beim Arzt zu terminieren.
Die aus der zweiten Kategorie werden dann in der VC voruntersucht und dann entweder gleich behandelt oder doch noch (am selben oder am nächsten Tag) beim Arzt vorgestellt. So das Konzept des schwedischen Systems.
Nun kann man sich fragen, wer die Telefonvorsortierung und die VC-Eingagssortierung vornehmen soll. In Deutschland müsste das sicherlich ein Arzt sein, allein schon deswegen, weil die Ausbildung der Krankenpfleger und Arzthelfer(innen) - ohne jemandem zu nahe treten zu wollen - historisch gewachsen keinen Schwerpunkt im Bereich der Diagnostik und Behandlung legt und auch die Übernahme von Verantwortung für diese Berufsgruppen nur sehr eingeschränkt möglich ist. In Schweden ist das - ebefalls historisch bedingt - deutlich anders. Erstens handelt es sich nicht um eine teilschulische Ausbildung sondern um ein akademisches Studium, zweitens sind die Bereiche der Diagnostik und Therapie wesentlich stärker ausgeprägt, drittens wird die Übernahme von Verantwortung (ja, tatsächlich) als selbstverständlich angesehen, wobei allerdings bei Unsicherheit die Rückversicherung bei einem Arzt empfohlen wird. Faktisch arbeitet man also "auf Augenhöhe", nicht selten sind sjuksköterskor und nicht Ärzte die "chefs" der VCn. Das wäre in Deutschland schlichtweg undenkbar (leider).
Während meiner Hospitationen habe ich immer das Gefühl gehabt, dass die Zusammenarbeit und das geschilderte System recht gut funktioniert (kann allerdings auch nur von Dalarna und eingeschränkt Västra Götaland berichten). Zm Beispiel kam eine Schwester aus der bvc rüber, berichtete über einen kleinen Jungen mit Halsweh, legte das Ergebnis der Blutuntersuchung vor, gab an, dass der Rachenabstrich den sie genommen hatte, noch nicht fertig sei und fragte dann, ob aus ärztlicher Sicht gleich Penicillin gegeben werden sollte oder nicht, sie würde aufgrund der Resultate erstmal konservativ behandeln. Das ist doch klasse, finde ich. Soweit also zur schönen Theorie und "wie es sein könnte". Warum hapert es dann doch so stark, dass es so viele Klagen gibt? Zum einen ist es sicher die übertriebene Filterung der Patienten. Je nach Selbstbild der "Telefonschwester" wird da einfach zu radikal abgewimmelt. Wenn man sowas durch Prämien noch fördert, schürt es Unzufriedenheit und führt im Einzelfall zu schlimmen Konsequenzen. Zum anderen könnte sicherlich die Zahl der Ärzte einen Tick höher sein (allerdings wieder Kostenfaktor), um mehr Patienten pro Tag ärztlich vorstellen zu können.
Fazit: Weder dasd deutsche noch das schwedische System sind optimal. Das deutsche krankt an einer zu leichten Erreichbarkeit der Ärzte, wodurch Hektik und zu hohe Kosten verursacht werden, das schwedische an einer zu schweren Erreichbarkeit aufgrund zu hoher Hürden. Die Regulationsmechanismen sind in Schweden schon vorhanden, werden aber zu stark angewendet, in Deutschland würde es einen immensen Aufwand bedeuten, den status quo zu verändern.
Somit gewinnt das schwedische System, sobald man die Zahl der Ärzte etwas erhöht und die Hürden etwas erniedrigt.
Nebenbei: Die Querschnittparameter des "Gesundheitszustands und der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung" sind in Schweden - trotz geringerer Verfügbarkeit von Gesundheitseinrichtungen - sogar besser als in Deutschland, siehe letzten WHO-Report (habe den Link leider gerade nicht greifbar).
Aber - wie Hansbaer schon sagte - man sollte von solchen Fällen nicht auf ein prinzipielles Versagen des Gesamtsystems schließen.
Wie ich an anderer Stelle schon geschrieben habe glaube ich, dass jedes System seine Stärken und Schwächen hat. Die Schwäche des schwedischen Systems liegt sicher in der übertriebenen Filterung der Patienten. Man muss aber auch sehen, dass das grundsätzlich schon einen Sinn hat. Ich bin momentan als Vertragsarzt (Kassenarzt) in einem kleineren Ort in Niedersachsen tätig. Trotz schon umfangreichen Sprechstundenangebotes kann ich mir pro Patient kaum mehr als die angesprochenen 3:42 Minuten (oder wieviele das noch gleich waren) Zeit nehmen, weil sonst das volle Wartezimmer zu einem "Hexenkessel" wird (bildlich gesprochen), weil alle glauben, zu lange zu warten. Und wenn sie dann "an der Reihe" sind, sind sie genervt, wenn ich sie nach spätestens 5-8 Minuten wieder herauskomplementieren muss. Sie haben zwar prinzipiell Verständnis dafür, hätten aber doch lieber mehr Zeit im Sprechzimmer verbracht.
Das ist im übrigen auch meine Hauptmotivation, stattdessen in Schweden zu praktizieren: Habe schon ein paar Mal in verschiedenen VC hospitiert und da das genaue Gegenteil erlebt: Endlich mal Zeit für die Patienten, man fühlt sich nicht so unter Druck, kann viel besser aufeinander eingehen, auch mal persönliche Probleme abseits des akuten Geschehens beleuchten etc.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten, um diese Situation (15-20 Minuten pro Patient) zu erreichen: entweder den Zugang limitieren oder aber viermal so viele Ärzte bezahlen. Da sich letzteres aber keiner leisten kann (sondern im Gegenteil die Bezahlung der Ärzte in Deutschland trotz anderslautender Berichte immer weiter gekürzt wird), bleibt nur die Zugangsbeschränkung.
Wie soll diese nun stattfinden? Wer zuerst kommt, kriegt einen Termin, wenn alle Termine voll sind, haben die restlichen Pech gehabt? So hat man - wenn es dumm läuft - 30 Patienten mit Erkältung gut untersucht und behandelt, die auch von selber wieder gesund geworden wären, und 30 schwerer Kranke unversorgt gelassen, die wesentlich dringer ärztlicher Hilfe bedurft hätten. Wie verhindert man das? Man installiert ein Filtersystem, um (optimalerweise) jedem Patienten gerecht zu werden. Sprich: den nicht ganz so kranken beruhigen und "Alltagstipps" geben (das oft gehörte "Bettruhe - Alvedon - viel trinken"), die fraglich kränkeren einzubestellen und nochmal vor Ort zu sichten und die vermutlich schwerer kranken Patienten beim Arzt zu terminieren.
Die aus der zweiten Kategorie werden dann in der VC voruntersucht und dann entweder gleich behandelt oder doch noch (am selben oder am nächsten Tag) beim Arzt vorgestellt. So das Konzept des schwedischen Systems.
Nun kann man sich fragen, wer die Telefonvorsortierung und die VC-Eingagssortierung vornehmen soll. In Deutschland müsste das sicherlich ein Arzt sein, allein schon deswegen, weil die Ausbildung der Krankenpfleger und Arzthelfer(innen) - ohne jemandem zu nahe treten zu wollen - historisch gewachsen keinen Schwerpunkt im Bereich der Diagnostik und Behandlung legt und auch die Übernahme von Verantwortung für diese Berufsgruppen nur sehr eingeschränkt möglich ist. In Schweden ist das - ebefalls historisch bedingt - deutlich anders. Erstens handelt es sich nicht um eine teilschulische Ausbildung sondern um ein akademisches Studium, zweitens sind die Bereiche der Diagnostik und Therapie wesentlich stärker ausgeprägt, drittens wird die Übernahme von Verantwortung (ja, tatsächlich) als selbstverständlich angesehen, wobei allerdings bei Unsicherheit die Rückversicherung bei einem Arzt empfohlen wird. Faktisch arbeitet man also "auf Augenhöhe", nicht selten sind sjuksköterskor und nicht Ärzte die "chefs" der VCn. Das wäre in Deutschland schlichtweg undenkbar (leider).
Während meiner Hospitationen habe ich immer das Gefühl gehabt, dass die Zusammenarbeit und das geschilderte System recht gut funktioniert (kann allerdings auch nur von Dalarna und eingeschränkt Västra Götaland berichten). Zm Beispiel kam eine Schwester aus der bvc rüber, berichtete über einen kleinen Jungen mit Halsweh, legte das Ergebnis der Blutuntersuchung vor, gab an, dass der Rachenabstrich den sie genommen hatte, noch nicht fertig sei und fragte dann, ob aus ärztlicher Sicht gleich Penicillin gegeben werden sollte oder nicht, sie würde aufgrund der Resultate erstmal konservativ behandeln. Das ist doch klasse, finde ich. Soweit also zur schönen Theorie und "wie es sein könnte". Warum hapert es dann doch so stark, dass es so viele Klagen gibt? Zum einen ist es sicher die übertriebene Filterung der Patienten. Je nach Selbstbild der "Telefonschwester" wird da einfach zu radikal abgewimmelt. Wenn man sowas durch Prämien noch fördert, schürt es Unzufriedenheit und führt im Einzelfall zu schlimmen Konsequenzen. Zum anderen könnte sicherlich die Zahl der Ärzte einen Tick höher sein (allerdings wieder Kostenfaktor), um mehr Patienten pro Tag ärztlich vorstellen zu können.
Fazit: Weder dasd deutsche noch das schwedische System sind optimal. Das deutsche krankt an einer zu leichten Erreichbarkeit der Ärzte, wodurch Hektik und zu hohe Kosten verursacht werden, das schwedische an einer zu schweren Erreichbarkeit aufgrund zu hoher Hürden. Die Regulationsmechanismen sind in Schweden schon vorhanden, werden aber zu stark angewendet, in Deutschland würde es einen immensen Aufwand bedeuten, den status quo zu verändern.
Somit gewinnt das schwedische System, sobald man die Zahl der Ärzte etwas erhöht und die Hürden etwas erniedrigt.
Nebenbei: Die Querschnittparameter des "Gesundheitszustands und der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung" sind in Schweden - trotz geringerer Verfügbarkeit von Gesundheitseinrichtungen - sogar besser als in Deutschland, siehe letzten WHO-Report (habe den Link leider gerade nicht greifbar).
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Re: Meine Erfahrungen mit dem schwedischen Gesundheitssystem
Danke Thomas!
Ich habe mir eigentlich vorgenommen nicht mehr auf diese Beiträge zu antworten,aber Ausnahmen sind ja erlaubt
.
Ich bin eine der Personen die am "anderen Ende der Leitung " sitzt,wenn auch in einem noch spezielleren Bereich.Was viele unserer Patienten nicht wissen: es gibt eine monatliche Auswertung der Behandlungszahlen einschliesslich der Telefonkontakte. Es wird genau ausgewertet wie hoch die Zahl der behandelten Patienten ist und wie lang die Wartezeiten und vor allem: welche Möglichkeiten haben wir , diese zu verringern.
Ich verstehe den Unmut der PAtienten,die vielleicht nicht sofort die behandlung bekommen,die sie sich wuenschen,andererseits weiss ich,dass wir intensiv daran arbeiten allen gerecht zu werden.Noch ein Punkt: es ist nicht schön zu lesen,dass immer alle ueber den beruehmten KAmm geschoren werden. Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte und ich bin mir absolut bewusst,dass auch das schwedische System seine Schwächen hat,aber wir messen allzu oft mit dem "deutschen Bandmaass".
Hej Thomas: Viel Spass in Falun beim Sprachkurs und "Välkommen i Orsa!" Du bist also der 2. Arzt in der VC.
Gruss Susanne(Die VIer)
Ich habe mir eigentlich vorgenommen nicht mehr auf diese Beiträge zu antworten,aber Ausnahmen sind ja erlaubt

Ich bin eine der Personen die am "anderen Ende der Leitung " sitzt,wenn auch in einem noch spezielleren Bereich.Was viele unserer Patienten nicht wissen: es gibt eine monatliche Auswertung der Behandlungszahlen einschliesslich der Telefonkontakte. Es wird genau ausgewertet wie hoch die Zahl der behandelten Patienten ist und wie lang die Wartezeiten und vor allem: welche Möglichkeiten haben wir , diese zu verringern.
Ich verstehe den Unmut der PAtienten,die vielleicht nicht sofort die behandlung bekommen,die sie sich wuenschen,andererseits weiss ich,dass wir intensiv daran arbeiten allen gerecht zu werden.Noch ein Punkt: es ist nicht schön zu lesen,dass immer alle ueber den beruehmten KAmm geschoren werden. Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte und ich bin mir absolut bewusst,dass auch das schwedische System seine Schwächen hat,aber wir messen allzu oft mit dem "deutschen Bandmaass".
Hej Thomas: Viel Spass in Falun beim Sprachkurs und "Välkommen i Orsa!" Du bist also der 2. Arzt in der VC.
Gruss Susanne(Die VIer)
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Re: Meine Erfahrungen mit dem schwedischen Gesundheitssystem
Hej Susanne!
Ja, den är jag faktisk. Tack så mycket för Dina vänliga önskningar, jag hoppas att det skulle verkligen blir bra hos Er.
Vis ses,
Thomas
Ja, den är jag faktisk. Tack så mycket för Dina vänliga önskningar, jag hoppas att det skulle verkligen blir bra hos Er.
Vis ses,
Thomas
Re: Meine Erfahrungen mit dem schwedischen Gesundheitssystem
Hej Distriktsläkare,
Deinen Ausführungen muß ich widersprechen:
Du schreibst:
"Wer zuerst kommt, kriegt einen Termin, wenn alle Termine voll sind, haben die restlichen Pech gehabt? So hat man - wenn es dumm läuft - 30 Patienten mit Erkältung gut untersucht und behandelt, die auch von selber wieder gesund geworden wären, und 30 schwerer Kranke unversorgt gelassen, die wesentlich dringer ärztlicher Hilfe bedurft hätten."
Schweden gehen niemals wegen Erkältung zum Arzt, sie dürfen ja nicht und Termine gibt es auch nicht. Alle mir jemals (in 15 Jahren) bekannt gewordenen Schweden helfen sich voenehmlich selbst, es gibt ja nichts zu erhoffen. Das gilt auch für wesentlich schwerere Fälle, wo die Leute es einfach aufgeben, zu hoffen, beim Arzt dranzukommen. So warten sie so lange, bis ihre Krebsgeschwüre schließlich aufbrechen oder der Herzinfarkt eingetreten ist. Dann darf man ja endlich kommen, z.B. mit der Ambulanz.
Nein, an diesem menschenverachtenden System gibt es nichts schönzureden. Spätestens nach ein paar Jahren kann man sich dieser Einsicht nicht mehr verschließen.
Man kann praktisch sagen, daß sich die schwedische Standardbehandlung bei ALLEN auftauchenden Krankheiten zunächst auf folgendes reduziert:
"Abwarten, das geht vorüber, hinlegen, Paracetamol (= Alvedon) nehmen."
Ich bin in Schweden in 15 Jahren noch nicht einmal (!) gründlich untersucht worden, weder auf dem Land noch in der Stadt, trotz mitunter verzweifelter Bitten meinerseits. Im Höchstfall werde ich vom Arzt (!) gefragt, was ich habe, welches Medikament ich möchte und wie lange ich krankgeschrieben werden möchte. (Untersuchung und Diagnostik = Fehlanzeige.)
Bevor ich nach Schweden kam,hatte ich immer geglaubt, just die Beantwortung dieser Fragen sei Sache des Arztes.
Wie man sich täuschen kann...
Deinen Ausführungen muß ich widersprechen:
Du schreibst:
"Wer zuerst kommt, kriegt einen Termin, wenn alle Termine voll sind, haben die restlichen Pech gehabt? So hat man - wenn es dumm läuft - 30 Patienten mit Erkältung gut untersucht und behandelt, die auch von selber wieder gesund geworden wären, und 30 schwerer Kranke unversorgt gelassen, die wesentlich dringer ärztlicher Hilfe bedurft hätten."
Schweden gehen niemals wegen Erkältung zum Arzt, sie dürfen ja nicht und Termine gibt es auch nicht. Alle mir jemals (in 15 Jahren) bekannt gewordenen Schweden helfen sich voenehmlich selbst, es gibt ja nichts zu erhoffen. Das gilt auch für wesentlich schwerere Fälle, wo die Leute es einfach aufgeben, zu hoffen, beim Arzt dranzukommen. So warten sie so lange, bis ihre Krebsgeschwüre schließlich aufbrechen oder der Herzinfarkt eingetreten ist. Dann darf man ja endlich kommen, z.B. mit der Ambulanz.
Nein, an diesem menschenverachtenden System gibt es nichts schönzureden. Spätestens nach ein paar Jahren kann man sich dieser Einsicht nicht mehr verschließen.
Man kann praktisch sagen, daß sich die schwedische Standardbehandlung bei ALLEN auftauchenden Krankheiten zunächst auf folgendes reduziert:
"Abwarten, das geht vorüber, hinlegen, Paracetamol (= Alvedon) nehmen."
Ich bin in Schweden in 15 Jahren noch nicht einmal (!) gründlich untersucht worden, weder auf dem Land noch in der Stadt, trotz mitunter verzweifelter Bitten meinerseits. Im Höchstfall werde ich vom Arzt (!) gefragt, was ich habe, welches Medikament ich möchte und wie lange ich krankgeschrieben werden möchte. (Untersuchung und Diagnostik = Fehlanzeige.)
Bevor ich nach Schweden kam,hatte ich immer geglaubt, just die Beantwortung dieser Fragen sei Sache des Arztes.
Wie man sich täuschen kann...
Re: Meine Erfahrungen mit dem schwedischen Gesundheitssystem
Leider scheint das zu stimmen - man hört z. B. inzwischen auch recht häufig von deutschen Ärzten, die nun nach einigen Jahren in Schweden gerne wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind.Nein, an diesem menschenverachtenden System gibt es nichts schönzureden. Spätestens nach ein paar Jahren kann man sich dieser Einsicht nicht mehr verschließen.
Liest man dann diese Berichte, so ist von der anfänglichen Begeisterung für Schweden nicht viel übrig geblieben. Der Tenor ist: Schweden vom Land her und für den Urlaub: Ja und immer wieder gerne; von der Arbeit her: nie wieder. Was anfänglich als mehr Freizeit empfunden wurde, kehrt sich mit der Zeit durch fehlende/schwer aufzubauende soziale Kontakte in Langeweile/Tristesse um. Die geregelten Arbeitszeiten in den Vårdcentralen/Krankenhäusern werden überschattet durch eine enorme Bürokratisierung der jeweiligen Landstings-Verwaltungen (die Verwaltungschefs sind in Schweden ja zumeist Politiker - da kann es dann schon vorkommen, dass die parteitreue "Kindergärtnerin mit gymnasiekompetenz" plötzlich zum "Landstingschef" mit Verantwortung für das gesamte Gesundheitswesen in einem Län ausersehen wird).
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- Registriert: 12. Mai 2009 11:23
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Re: Meine Erfahrungen mit dem schwedischen Gesundheitssystem
selbst habe ich noch keine Erfahrungen mit dem schwed. Gesundheitswesen gemacht, kann also nur beurteilen, was ich so mit meinen Eltern hier erlebe, mein Vater ist Diabetiker und vor 5 Jahren an Protatakrebs erkrankt, als wir vor 3 Jahren hierher zogen brachte er seine Krankenakte aus D. mit , innerhalb von 1 Woche bekam er einen Termin bei der VC wurde gründlich untersucht u. bekam eine Überweisung zum Urologen, seit dem bekommt er automatisch regelmässig Untersuchungstermine beim Urologen u.bei der VC zur Kontrolle seiner Diabeties.Meine Mutter hat oft mal Probleme mit der Galle, als es neulich recht heftig war habe ich sie ins Auto gepackt und bin einfach zur VC gefahren, nach nur 10 min Wartezeit wurde sie einem Arzt vorgestellt, also bis jetzt können sie nicht klagen.
In D. war das oft anders, ein Beispiel: meine Mutter wollte einen Termin beim Augenarzt (als Kassenpatient) 8 wochen Wartezeit, ich rief am selben Tag beim Augenarzt an und hätte einen Termin am nächsten Tag bekommen, weil ich Privatpatient war uns so ähnlich ist es oft gewesen, auch was Medikamente angeht, hätte ich die bei weiten wirksameren bekommen, als ein Kassenpatient.
Conny
In D. war das oft anders, ein Beispiel: meine Mutter wollte einen Termin beim Augenarzt (als Kassenpatient) 8 wochen Wartezeit, ich rief am selben Tag beim Augenarzt an und hätte einen Termin am nächsten Tag bekommen, weil ich Privatpatient war uns so ähnlich ist es oft gewesen, auch was Medikamente angeht, hätte ich die bei weiten wirksameren bekommen, als ein Kassenpatient.
Conny
Re: Meine Erfahrungen mit dem schwedischen Gesundheitssystem
Hallo "Unerrreichbarer",
lies dir bitte noch einmal den Text genau durch, den du kritisierst, bevor du loslegst. Ich bin hier froh, dass hier keiner wegen einer banalen Erkältung zum Arzt rennt, um dann noch die anderen im Wartezimmer, die wirklich Hilfe brauchen, anzustecken.
Bei mir hat man in Schweden, obwohl die Diagnose schon klar war, zur Sicherheit von sich aus ein komplettes Blutbild gemacht. Ich kann mich also nicht beklagen, man würde mich nicht ausreichend untersuchen. Was mich allerdings etwas stört in Schweden, ist, dass man etwas hartnäckig Überzeugungsarbeit leisten muss, bis man behandelt wird. So kam auch kürzlich ein TV-Bericht, dass Menschen mit besserer Ausbildung auch eine bessere Behandlung bekommen - unter Anderem wahrscheinlich, weil sie sich selbst besser über Ihre Krankheit informieren und damit besser argumentieren. Aber in Deutschland ist diese Ungleichheit noch viel schlimmer, denn da gibt es Privat- und Kassenpatienten.
Noch etwa zur "gründlichen Untersuchung": Natürlich kann hinter jedem Kopfschmerz ein beginnender Hirntumor stecken und ein Husten kann Lungenkrebs als Ursache haben. Wenn man aber so anfängt alles zu untersuchen, was nur möglich ist, würde ein Gesundheitssystem nicht nur unbezahlbar werden sondern auch noch seine Patienten zu Hypchondern erziehen und damit zusätzliches Leid erzeugen. Und in Deutschland gibt es statistisch gesehen besonders viele Hypochonder. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens 1/4 der organischen Krankheiten psychische Ursachen haben.
Abgesehen davon führt eine gründliche Untersuchung fast immer zu irgendeinem Befund. Man muss eben nur lange genug suchen. Bei mir hat in Deutschland ein Orthopäde Plattfüße und einen verkrümmten Rücken festgestellt. Trotzdem laufe ich problemlos ohne empfohlene Einlagen 20 km mit 20 kg Gepäck durchs Fjäll. Allerdings geht das nur, wenn ich vorher trainiere. Und die Trainingsarbeit kann mir kein Gesundheitssystem abnehmen.
Das hat meines Erachtens haben "die gründlichen Untersuchungen" in Deutschland schon System und damit lässt sich übrigens auch viel Geld im deutschen Gesundheitswesen verdienen, wovon etwa 30% der Krankenkassenbeiträge für die Verwaltung benötigt werden.
Um es noch draufzusetzen. Als Selbständiger muss man in Deutschland eine Mindestsumme an monatlichen Beiträgen bezahlen, um überhaupt krankenversichert zu sein. Und wenn man mal nichts verdient, muss man trotzdem zahlen. Kein Wunder, dass immer mehr kleine Selbständige überhaupt nicht krankenversichert sind. So einem System jammere ich nicht nach.
lies dir bitte noch einmal den Text genau durch, den du kritisierst, bevor du loslegst. Ich bin hier froh, dass hier keiner wegen einer banalen Erkältung zum Arzt rennt, um dann noch die anderen im Wartezimmer, die wirklich Hilfe brauchen, anzustecken.
Bei mir hat man in Schweden, obwohl die Diagnose schon klar war, zur Sicherheit von sich aus ein komplettes Blutbild gemacht. Ich kann mich also nicht beklagen, man würde mich nicht ausreichend untersuchen. Was mich allerdings etwas stört in Schweden, ist, dass man etwas hartnäckig Überzeugungsarbeit leisten muss, bis man behandelt wird. So kam auch kürzlich ein TV-Bericht, dass Menschen mit besserer Ausbildung auch eine bessere Behandlung bekommen - unter Anderem wahrscheinlich, weil sie sich selbst besser über Ihre Krankheit informieren und damit besser argumentieren. Aber in Deutschland ist diese Ungleichheit noch viel schlimmer, denn da gibt es Privat- und Kassenpatienten.
Noch etwa zur "gründlichen Untersuchung": Natürlich kann hinter jedem Kopfschmerz ein beginnender Hirntumor stecken und ein Husten kann Lungenkrebs als Ursache haben. Wenn man aber so anfängt alles zu untersuchen, was nur möglich ist, würde ein Gesundheitssystem nicht nur unbezahlbar werden sondern auch noch seine Patienten zu Hypchondern erziehen und damit zusätzliches Leid erzeugen. Und in Deutschland gibt es statistisch gesehen besonders viele Hypochonder. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens 1/4 der organischen Krankheiten psychische Ursachen haben.
Abgesehen davon führt eine gründliche Untersuchung fast immer zu irgendeinem Befund. Man muss eben nur lange genug suchen. Bei mir hat in Deutschland ein Orthopäde Plattfüße und einen verkrümmten Rücken festgestellt. Trotzdem laufe ich problemlos ohne empfohlene Einlagen 20 km mit 20 kg Gepäck durchs Fjäll. Allerdings geht das nur, wenn ich vorher trainiere. Und die Trainingsarbeit kann mir kein Gesundheitssystem abnehmen.
Das hat meines Erachtens haben "die gründlichen Untersuchungen" in Deutschland schon System und damit lässt sich übrigens auch viel Geld im deutschen Gesundheitswesen verdienen, wovon etwa 30% der Krankenkassenbeiträge für die Verwaltung benötigt werden.
Um es noch draufzusetzen. Als Selbständiger muss man in Deutschland eine Mindestsumme an monatlichen Beiträgen bezahlen, um überhaupt krankenversichert zu sein. Und wenn man mal nichts verdient, muss man trotzdem zahlen. Kein Wunder, dass immer mehr kleine Selbständige überhaupt nicht krankenversichert sind. So einem System jammere ich nicht nach.
Re: Meine Erfahrungen mit dem schwedischen Gesundheitssystem
... die gibt es hier auch - wenn auch nicht "offiziell" - so ist mein Mann z. B. über seinen Arbeitgeber automatisch an eine private Vårdcentral angeschlossen - d. h. er kann jederzeit immer, wenn er möchte, einen Arzt treffen (auch bei Erkältungen). Wenn er ins Krankenhaus müsste, wäre das für ihn auch kein Problem - die Firma hat für alle Mitarbeiter ein Abkommen, dass diese im privaten Krankenhaus Carlanderska hier in Göteborg versorgt werden.Aber in Deutschland ist diese Ungleichheit noch viel schlimmer, denn da gibt es Privat- und Kassenpatienten.
Der Nachteil ist, dass nicht die ganze Familie eingeschlossen ist - gilt nur für den jeweiligen Mitarbeiter. Ähnliche Abkommen haben auch andere größere Unternehmen in Schweden - ist also durchaus kein Einzelfall.
Re: Meine Erfahrungen mit dem schwedischen Gesundheitssystem
@Volker: Bei den Hypochondern musste ich sehr schmunzeln. Das dachte ich mir nämlich auch, hätte aber nicht gewagt, es zu schreiben 

Das System ist leider kaum durchschaubar, aber meines Wissens ist das mittlerweile nicht mehr so. Praktisch alle müssen mittlerweile versichert sein - siehe auch: http://www.gesetze-im-internet.de/vvg_2008/__193.htmlVolker hat geschrieben: Um es noch draufzusetzen. Als Selbständiger muss man in Deutschland eine Mindestsumme an monatlichen Beiträgen bezahlen, um überhaupt krankenversichert zu sein. Und wenn man mal nichts verdient, muss man trotzdem zahlen. Kein Wunder, dass immer mehr kleine Selbständige überhaupt nicht krankenversichert sind. So einem System jammere ich nicht nach.
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Re: Meine Erfahrungen mit dem schwedischen Gesundheitssystem
Habe zwar noch keine Bekanntschaft mit dem schwedischen Gesundheitssystem gemacht, aber bislang nicht allzuviel Gutes darüber gehört seitens meiner Kollegen. Von daher bin ich froh seit April privat krankenversichert zu sein. Aber ob ich davon noch was hab hängt ganz davon ab ob ich meinen Job behalte, da es über die Firma läuft 
